ROT UND SCHWARZ

Beatrice Ruef

 

Ein herzliches Willkommen allen Gästen hier in der Gallaria Cularta. Wir eröffnen die Ausstellung Il tschietschen ed il ner, eine Ausstellung mit der wir der Malerin Toja Isenring gedenken, Ehrenbürgerin von Laax. Sie hätte in diesem Jahr ihren hundertsten Geburtstag gefeiert. Heute vor fünf Jahren hat sie uns einen grossen Schatz an Bildern zurückgelassen, als sie in andere Räume weiterging, wie Michelangelo es in einem Sonett so tröstlich ausgedrückt hat. 
Aus diesem reichen Schatz sind für die Ausstellung Bilder in Rot und Schwarz ausgewählt, ein Thema, das in Toja Isenring's Malerei immer wieder auftaucht. Es sind durchweg abstrakte Bilder, mit einer Ausnahme, vielleicht.

Die Anfrage zur Ausstellung kam vom Team Cularta an  die Familie und damit verbunden war der Wunsch, dass sich Flurin Isenring, Maler in Italien, nahe Rom und Toja's Sohn, mit neuen Werken an der Ausstellung beteilige.

Kurator der Ausstellung ist Flurin Isenring. Er hat damit eine Installation geschaffen, die ich als schönste kreative Würdigung von Toja beschreiben würde, eine konzentrierte, starke Ausstellung. In diesem Raum sehen Sie die Bilder von Toja, entstanden im Laufe eines langen Schaffens. Im oberen Stock sind die Bilder von Flurin ausgestellt, entstanden innerhalb eines halben Jahres, beide zum Thema il tgietschen ed il ner,  Rot und Schwarz.

Zu Flurin's Bilder
Am Anfang steht der Entscheid, für diese Ausstellung eine Serie abstrakter Bilder zu malen, in Rot und Schwarz. Flurin geht das Thema in der Art eines Forschers an. Mit vier Bildpaaren, so genannten Diptychen, untersucht er das  Zusammenwirken  der beiden Farben: die beiden ersten Bildpaare sind spiegelbildlich angeordnet. Sie zeigen rote und schwarze rechteckige Flächen, nebeneinander gesetzt,  im klassischen Verhältnis 3:1:2, ergänzt durch eine kleinere weisse Fläche. Schwarz und Rot vertauschen die Plätze, weiss bleibt am selben Ort. Weiss ist nicht als Farbe eingesetzt, weiss hilft beim Strukturieren des Bildes. Die Wirkung ist ruhig, statisch, in der Art konstruktiver Malerei. Bei Diptychon  drei dringen schwarz-weisse und rot-weisse Farbkörper aus ihrem eigenen Raum ein ins monochrome Feld der Gegenfarbe, und im Letzten der Vier „erhebt sich“ elegant ein „Kopf im Profil“  aus dem roten Feld hinein ins schwarze Feld. Parallel dazu „senkt sich“ diese Figur gemessen aus der roten Fläche zurück ins schwarze Feld, diesmal in schwarz-weiss.
Durch die sparsam gesetzten weissen Flecken wirken die Formen fürs uns wie Skulpturen.
Im nächsten Schritt gehen die beiden Farben miteinander Verbindungen ein, auf den fünf grossformatigen Bildern. Sie lassen alle keine Interpretationen mehr zu. Mit kraftvoll  geführtem, breitem  Pinsel legt Flurin in grosszügigen Bewegungen eine Farbschicht über die andere. Bewusst lässt er unterliegende Farbschichten durchscheinen. Weiss dient hier zur „Verunreinigung“ der reinen Farbe. Es entsteht auf der Leinwand eine Reihe feiner Farbnuancen, die alle  von Rot und Schwarz und ihrer Überlagerung ausgehen. Jedes Bild erhält seine unverkennbar eigene Gestalt unter dem immer gleich breiten Pinselstrich, mit dem Flurin das Farbgewebe modelliert, Richtungen festlegt, Fächer öffnet,  Schichten gegeneinander absetzt. Sowohl das Rot wie das Schwarz tauchen in jedem Bild als reine Farben auf, immer im Dialog, ein Paar, verunreinigt mit dem Weiss, bis sich im letzten der fünf Bilder das Rot strahlend lebendig vor die Schwarz – Grau – Weissen Schichten schiebt. Immerhin trägt es einen reinen schwarzen Flecken auf sich. Das Bild ist fertig, wenn es „funktioniert“, wie Flurin sagt. Durch die Schichtung entstehen dem Auge hintereinander liegende Räume. Wer in diese Räume eintritt, lüftet Farbschleier um Farbschleier, hört eine feine Musik. 

Jetzt komme ich zu den Bildern von Toja Isenring, zu ihrem Rot und Schwarz.  Die Bilder sind ausgewählt aus der Fülle ihres Werkes, das fast alle Stilrichtungen des 20. Jahrhunderts umfasst. Für die Gäste, die Toja Isenring nicht kennen, mache ich einen kleinen Exkurs:  Toja Isenring hat mit ihrer Kunst und mit ihrer Persönlichkeit Laax, der Surselva dem Kanton Graubünden, der ganzen Schweiz alles gegeben, was eine Künstlerpersönlichkeit zu geben vermag:  sie hat es mit visionärem Geist verstanden,  die internationalen Strömungen aufzunehmen und hierher zu bringen, in ihren Bildern und gleichzeitig die lokale Tradition in feinster Form malerisch umzusetzen, bei der Bemalung von Häusern, in der Illustration von Kinderbüchern in Hinterglasbildern und in ihren Blumenbildern. In dieser Ausstellung sehen wir ausschliesslich abstrakte Werke in Rot und Schwarz. Weiss ist immer dabei, mal ist es Hintergrund, mal Aussparung, mal Lichtpunkt und gesprühter Nebel, und dann wie bei Flurin, auch als „Verunreiniger“ von Rot und Schwarz.   

Uns fallen erst die kleineren,  explosiven Bilder ins Auge, Farbwirbel oder Teile von solchen, die in raschen Strichen spontan auf die weisse Fläche geworfen und getropft scheinen. Feuerfunken sausen um die hochgehobene schwarze Schale, in einem wirren Tanz. Die Schale selbst mit dem horizontalen hinteren Schalenrand und dem schwarzen Kreis mitten drin bringt uns ins Auge des Zyklons, dahin, wo absolute Ruhe ist. Man kann darin auch die ausbalancierende Wasserwaage sehen. Das fällt mir bei allen Bildern von Toja auf, die von Energie, Schaffenskraft, Intuition und Fantasie sprühen – sie sind immer im Gleichgewicht, ausgewogen, bei aller Bewegtheit. Für mich ist das beim langen Betrachten ihrer  Bilder die Entdeckung und das Staunen: wie meisterhaft sie bewegte, sprühende Energie im Gleichgewicht gehalten darstellt.

Wenn Sie jetzt dann in den oberen Stock zu Flurin's Bildern gehen, werden Sie sehen, dass diese Reihe der kleineren Formate, wie in Flurin's Werkschau, hinführen zu den grossen Formaten. Da ist der Tgaun, der Hund, gespachtelt, scheint mir, und wirklich wie ein liebes treues Tier, sicher und mittig ins Bild gestellt, ein Freund für alle Tage, auch ein Kinderfreund. Da ist der Kreis, oder das Kreissegment, sanft gehalten und vielleicht im Rotieren gestoppt von der geometrisch gezeichneten Welle, dem Gegenstück zur Kreisform. Da ist das weiss ausgesparte Dreieck, umfasst vom schwarzen und vom roten Dreieck, von der Senkrechten in Balance gehalten. Da ist der heftig ausschwingende Arm aus der Mitte einer schwarzen Sonne, mit Rot hinterlegt, eine Faust, ein Skorpion Schwanz? Jeder hat seine Assoziation. Ein Bild kraftvollster Energie in Schwarz mit Rot auf Weiss. In diesen Bildern ist Weiss immer Hintergrund Malgrund. Und dann ist da dieses ruhige Bild, auf dem in feinen Abstufungen von hellem grau bis annähernd schwarz schmale horizontale Streifen auf warmem rotem Grund gemalt sind. Es erinnert an den Eindruck des Fensterladens, durch dessen Schlitze das Licht von aussen eindringt. Ich finde hier den Umgang mit dem Überlagern von Farbschichten und der Farbnuancierung durch Weiss wieder, die Flurin in seinen fünf grossen Bildern als  beherrschendes Gestaltungsmittel einsetzt.  

Und dann empfehle ich Ihnen, lange vor dem grossen Rot – Schwarzen Bild im goldenen Rahmen zu verweilen und einfach in diesen Kosmos zu schauen, der unendlich in die Tiefe reicht. Fixsterne leuchten auf, weisse Sprühnebel verwischen leicht die klare Sicht, als würde man durch Scheiben hindurch schauen, und dann taucht man ein in die schwarze Ferne um wieder aufzutauchen im nahen Rot. Wenn Sie danach noch einmal zu den fünf grossen Bildern von Flurin hingehen, im oberen Stock, können Sie dieselbe Tiefe, dieselbe zarte sphärische Musik hören, wie hier, in diesem Bild von Toja Isenring das weit in die Zukunft weist. Ein wunderbares Bild zur Feier ihres 100. Geburtstags.